
Gespräche mit Angehörigen gehören zu Deinem ärztlichen Alltag. Besonders dann, wenn Patienten nicht mehr selbst entscheiden können oder in kritischem Zustand sind. Diese Situationen sind emotional, komplex und oft mit Unsicherheit auf allen Seiten verbunden. Hinzu kommen rechtliche Besonderheiten wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und kulturelle Vielfalt. Umso wichtiger ist es, dass Du mit klarem Kopf und einer guten Struktur in jedes Gespräch gehst.
Inhaltsverzeichnis
Was Dich in Gesprächen erwartet
Viele Angehörige stehen unter enormem Druck: Sie sind besorgt, fühlen sich überfordert oder entwickeln Schuldgefühle. Daraus entstehen oft unrealistische Erwartungen oder Forderungen nach Maßnahmen, die medizinisch nicht mehr sinnvoll sind. Hinzu kommen Zeitdruck, Sprachbarrieren oder rechtliche Unklarheiten. Als Arzt bist Du nicht nur medizinischer Ansprechpartner, sondern oft auch Vermittler zwischen Emotion, Ethik und Faktenlage.
Der Schlüssel: Vorbereitung und Struktur
Gute Gespräche beginnen nicht erst im Raum, sondern schon vorher. Such Dir bewusst einen ruhigen Ort, klär intern die Faktenlage, und nimm Dir – wenn möglich – einen Kollegen oder eine Pflegekraft mit. Wenn Du weißt, dass es emotional wird, plan lieber zwei kürzere Gespräche ein als ein überladenes. Du gibst damit dem Gegenüber Zeit zum Verarbeiten und Dir selbst die Möglichkeit, professionell zu bleiben.
Das bewährte SPIKES-Modell hilft Dir, auch in schwierigen Gesprächen klar und verständlich zu kommunizieren. Es beginnt mit dem passenden Setting und geht über das Abfragen des Vorwissens zur gezielten Informationsweitergabe. Besonders wichtig: Du solltest immer Raum für Emotionen lassen – nicht, um sie zu lösen, sondern um sie anzuerkennen. Am Ende braucht es einen klaren Ausblick: Was passiert als Nächstes, wer entscheidet was, wie geht es weiter?
SPIKES: Dein Fahrplan für heikle Gespräche
Das SPIKES-Modell hat sich im klinischen Alltag bewährt, besonders wenn’s emotional wird oder schlechte Nachrichten überbracht werden müssen. So funktioniert’s:
| Kürzel | Bedeutung | Deine Aufgabe |
|---|---|---|
| S – Setting | Rahmen schaffen | Ruhiger Raum, auf Augenhöhe sitzen, Zeit nehmen. |
| P – Perception | Vorwissen klären | Frag: „Was wissen Sie bisher über den Zustand?“ |
| I – Invitation | Informationswunsch abfragen | Will der Angehörige alles wissen oder nur das Wichtigste? |
| K – Knowledge | Klar informieren | Keine Fachsprache. Klare, ehrliche Aussagen. Pausen machen. |
| E – Emotions | Gefühle auffangen | Zuhören, benennen: „Ich sehe, dass Sie das belastet.“ |
| S – Strategy | Weiteres Vorgehen besprechen | Was ist der Plan? Wer macht was? Nächste Schritte vereinbaren. |
Empathie zeigen – ohne dich zu verlieren
Mitgefühl ist wichtig, aber Du musst nicht jede Emotion übernehmen. Es reicht, wenn du zeigst, dass Du zuhörst und verstehst. Gleichzeitig brauchst Du klare Grenzen, etwa wenn Forderungen kommen, die du medizinisch nicht vertreten kannst. Dann darfst Du auch sagen: „Das kann ich so nicht verantworten.“ Wenn das Gespräch entgleist, etwa durch Schreien oder Vorwürfe, ist es legitim, es höflich, aber bestimmt zu beenden. Dein Ziel ist ein ehrlicher, aber sachlicher Austausch – nicht ein emotionaler Showdown.
Rechtlicher Rahmen: Was zählt in Österreich?
Wenn Angehörige Entscheidungen treffen wollen, musst Du prüfen, ob sie dazu rechtlich befugt sind. Eine verbindliche Patientenverfügung gilt nur bei korrekter Form – mit ärztlicher Aufklärung und notarieller Beglaubigung. Auch eine nicht ganz formgerechte, sogenannte „beachtliche“ Verfügung solltest Du ernst nehmen: Sie zeigt den mutmaßlichen Willen des Patienten. Achte darauf, Dir immer eine Kopie zeigen zu lassen – Hörensagen reicht nicht.
Auch eine Vorsorgevollmacht muss schriftlich vorliegen. Nur weil jemand „nächster Angehöriger“ ist, darf er noch lange nicht über medizinische Maßnahmen entscheiden. Gerade in heiklen Fällen solltest Du das Gespräch mit dem Rechtsträger oder dem Ethikteam suchen, wenn keine klare Regelung besteht.
Was tun, wenn Fehler passieren?
Komplikationen, unerwartete Verläufe oder auch echte Fehler gehören zum ärztlichen Alltag – auch wenn sie niemand gerne zugibt. Wichtig ist, wie Du damit umgehst. Sprich offen, bleib bei den gesicherten Fakten und vermeide Schuldzuweisungen. Angehörige merken schnell, wenn Du ihnen etwas verschweigst oder schönredest. Du kannst Dich entschuldigen, ohne Dich rechtlich angreifbar zu machen. Ein einfaches „Es tut mir leid, dass das so gelaufen ist“ reicht oft aus, um die Wogen zu glätten. Wichtig ist auch, dass Du das Gespräch dokumentierst und weitere Termine anbietest – Transparenz schafft Vertrauen.
Kulturelle Unterschiede respektvoll handhaben
Gerade im urbanen Raum wirst du mit Angehörigen aus unterschiedlichsten Kulturen sprechen. Viele haben andere Vorstellungen von Krankheit, Tod oder Entscheidungswegen. Der älteste Sohn will das letzte Wort, religiöse Rituale sollen eingehalten werden, oder es gibt starke Vorbehalte gegenüber medizinischen Eingriffen. Frag aktiv danach, was der Familie wichtig ist – und erkläre gleichzeitig klar, was medizinisch machbar ist. Bei Sprachbarrieren musst Du einen professionellen Dolmetscher hinzuziehen, besonders bei Einwilligungen oder Therapieentscheidungen.
Praxisbeispiel
Hier ein beispielhaftes Vorgehen anhand eines Falls auf der Intensivstation:
Situation: Ein älterer Patient wird nach einem schweren Schlaganfall beatmet aufgenommen. Keine Patientenverfügung bekannt. Die Familie – Ehefrau und zwei erwachsene Kinder – will „alle Maßnahmen ausschöpfen“, obwohl der neurologische Befund sehr schlecht ist.
1. Dein Vorgehen: Gespräch gut vorbereiten: Du klärst intern den aktuellen Stand, hast alle relevanten Befunde griffbereit und vereinbarst einen Besprechungsraum.
2. Teamgespräch: Du führst das Gespräch gemeinsam mit einer Pflegekraft oder einem Oberarzt-Kollegen.
3. SPIKES anwenden:
- Perception: „Was wissen Sie über den Zustand Ihres Vaters?“
- Invitation: „Möchten Sie alle medizinischen Details oder lieber einen Überblick?“
- Knowledge: „Die Prognose ist leider sehr schlecht. Eine Rückkehr in ein normales Leben ist aus ärztlicher Sicht nicht realistisch.“
- Emotion: Du nimmst dir Zeit für Reaktionen. Zeigst Mitgefühl: „Ich sehe, wie schwer das für Sie ist.“
- Strategy: „Wir besprechen im Team, wie wir bestmöglich begleiten – nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich.“
4. Weitere Schritte vereinbaren: Du schlägst einen Folgetermin vor, dokumentierst das Gespräch und bietest psychosoziale Unterstützung an.
Fazit
Du wirst nicht jedes Gespräch perfekt führen. Aber wenn Du strukturiert, ruhig und empathisch bleibst und Dich rechtlich absicherst, wirst Du mit den meisten Situationen gut umgehen können. Kommunikation mit Angehörigen ist kein „Zusatz“ zum ärztlichen Alltag, sondern ein essenzieller Teil davon. Und: Je öfter Du sie bewusst gestaltest, desto besser gelingen sie Dir.










