
In der modernen Medizin gewinnt die interprofessionelle Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung. Pflegekräfte, Therapeuten, Ärzte und viele weitere Berufsgruppen arbeiten Hand in Hand – oft unter enormem Zeitdruck, mit hoher Verantwortung und komplexen Abläufen. Damit dieses Miteinander gelingt, braucht es mehr als Fachwissen: Es braucht interprofessionelle Kommunikation – auf Augenhöhe.
Inhaltsverzeichnis
Begriffsklärung und Grundlagen
Interprofessionelle Kommunikation bezeichnet den Austausch zwischen verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen mit dem Ziel, gemeinsam die bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Dabei geht es nicht nur um Informationsweitergabe, sondern um gegenseitiges Verstehen, Abgleichen und Koordinieren. Kommunikation auf Augenhöhe bedeutet, dass alle Beteiligten mit Respekt und Wertschätzung miteinander umgehen – unabhängig von Hierarchien, Berufsbezeichnungen oder Erfahrung.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont in mehreren Berichten, dass interprofessionelle Kommunikation ein zentraler Faktor für die Patientensicherheit ist. Sie verbessert die Behandlungsqualität, reduziert Fehlerquellen und erhöht die Zufriedenheit aller Beteiligten.
Herausforderungen im Spitalalltag
Im Klinikalltag zeigen sich jedoch zahlreiche strukturelle und kulturelle Barrieren, die eine Kommunikation auf Augenhöhe erschweren. Umso wichtiger ist es, diese Herausforderungen zu identifizieren und Wege zu entwickeln, ihnen konstruktiv zu begegnen.
Eine zentrale Hürde stellen ausgeprägte Hierarchien dar: Ärzte treffen Entscheidungen, andere Berufsgruppen wie Pflegekräfte oder Therapeuten agieren vielfach in nachgeordneten Rollen. Diese Machtverhältnisse können dazu führen, dass wichtige Informationen nicht geäußert oder nicht ernst genommen werden – aus Unsicherheit oder mangelndem Vertrauen.
Auch das berufliche Selbstverständnis variiert: Während Ärzte häufig den Fokus auf Diagnose und Therapie legen, sehen sich Pflegekräfte stärker in der kontinuierlichen Betreuung und Beobachtung. Unklare Zuständigkeiten können leicht zu Kommunikationslücken führen.
Hinzu kommt, dass die Berufsgruppen oft „unterschiedliche Sprachen“ sprechen. Ärztliche Kommunikation ist meist kurz und sachlich, pflegerische eher beschreibend und patientenbezogen. In der Hektik des Alltags – bei Visiten, Übergaben oder Besprechungen – entstehen so leicht Missverständnisse. Zeitdruck, fehlende Rückfragemöglichkeiten und unklare Standards verschärfen das Problem. Ohne ein gemeinsames Kommunikationsverständnis leidet nicht nur die Teamarbeit, sondern auch die Versorgungsqualität der Patienten.
Gute Kommunikation – was heißt das konkret?
Kommunikation ist weit mehr als der Austausch von Informationen. Im interprofessionellen Kontext entscheidet sie über die Qualität der Zusammenarbeit, die Sicherheit der Patienten und nicht zuletzt über das Klima im Team. Doch was macht “gute Kommunikation“ im Klinikalltag konkret aus?
Viele Missverständnisse entstehen nicht aus bösem Willen, sondern weil Informationen unklar, zu knapp oder im falschen Moment weitergegeben werden. Wer unter Zeitdruck steht, emotional belastet ist oder sich in seiner Rolle unsicher fühlt, kommuniziert oft unbewusst defensiv oder lückenhaft. Gleichzeitig werden Rückfragen oder kritische Hinweise schnell als Störung oder gar als Infragestellen der Autorität gewertet.
Gute Kommunikation bedeutet daher nicht nur, Techniken zu beherrschen, sondern auch die Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören, sich abzustimmen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Sie erfordert Struktur, Klarheit und echtes Interesse daran, was das Gegenüber mitteilen will – unabhängig von Berufsgruppe oder Hierarchie. Einige bewährte Prinzipien, die dabei helfen, Kommunikation wirksam und wertschätzend zu gestalten, sind im Folgenden dargestellt:
Aktives Zuhören
Aktives Zuhören bedeutet mehr als bloßes Nicken. Es heißt: dem Gegenüber volle Aufmerksamkeit schenken, Rückfragen stellen, Gesagtes paraphrasieren („Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie…“) und Emotionen wahrnehmen. Das schafft Vertrauen und zeigt Wertschätzung.
Klares Formulieren
Unklare oder vage Aussagen sind häufige Fehlerquellen. Klarheit bedeutet: kurze, präzise Sätze, keine Mehrdeutigkeiten und eine strukturierte Botschaft. Einfache Schemata wie SBAR (Situation, Background, Assessment, Recommendation) helfen, Informationen standardisiert und verständlich weiterzugeben.
Check-back-Technik
Diese Technik stammt aus der Luftfahrt und wird im Gesundheitswesen zunehmend eingesetzt. Eine Person gibt eine Information, die andere wiederholt sie („Check-back“), um sicherzustellen, dass sie korrekt verstanden wurde. Beispiel: „Patient Müller bekommt 5 mg Morphin i.v.“ – „Verstanden: 5 mg Morphin intravenös.“ Das reduziert Missverständnisse erheblich.
Gemeinsames Zielverständnis
Nur wenn alle Beteiligten dasselbe Ziel verfolgen – nämlich die bestmögliche Versorgung der Patienten – können Entscheidungen gemeinsam getragen werden. Regelmäßige Besprechungen, klare Kommunikationswege und ein respektvoller Umgangston fördern dieses Zielbild.
Haltung und Mindset
Techniken allein reichen nicht aus. Entscheidend ist die innere Haltung: Kommunikation auf Augenhöhe beginnt im Kopf. Das bedeutet:
- Selbstreflexion: Welche Rolle nehme ich in Gesprächen ein? Wie wirke ich auf andere?
- Wertschätzung: Jede Berufsgruppe bringt eigene Kompetenzen und Perspektiven ein – diese Vielfalt ist ein Gewinn
- Fehlerkultur: Fehler offen anzusprechen, ohne Angst vor Schuldzuweisungen, ist ein Zeichen von Reife und Professionalität
Gerade jüngere Kollegen erleben oft, wie wichtig ein gutes Vorbild ist. Wer als erfahrene Führungskraft aktiv zuhört, Rückfragen ermöglicht und Kritik konstruktiv aufnimmt, prägt das Kommunikationsklima im gesamten Team nachhaltig.
Relevanz für die Führung
Führungskräfte im ärztlichen Bereich tragen besondere Verantwortung. Sie prägen die Teamkultur – bewusst oder unbewusst – durch ihr Kommunikationsverhalten. Wer klare, respektvolle Kommunikation vorlebt, schafft ein Klima, in dem auch andere sich äußern dürfen. Das ist nicht nur menschlich wertvoll, sondern auch wirtschaftlich relevant: Studien zeigen, dass Teams mit guter Kommunikation effizienter, zufriedener und seltener krank sind.
Gute Führung bedeutet daher auch, Kommunikationskompetenz aktiv zu fördern – etwa durch Supervision, Feedbackrunden oder gezielte Fortbildungen. Modelle wie SACCIA (Suffizienz, Akkuratheit, Klarheit, Kontextbezug, Interpersonelle Anpassung) bieten hier eine strukturierte Grundlage für sichere Kommunikation.
Fazit
Interprofessionelle Kommunikation auf Augenhöhe ist keine „weiche“ Kompetenz, sondern ein zentrales Qualitätsmerkmal im modernen Gesundheitswesen. Sie braucht Struktur, Übung und vor allem Haltung. Wer zuhört, klar spricht und andere ernst nimmt, trägt aktiv zu mehr Sicherheit, Effizienz und Menschlichkeit bei. Ein wertvoller Beitrag – für das Team, die Patienten und das gesamte System.