
Die ärztliche Visite ist ein wesentlicher Bestandteil der stationären Behandlung in österreichischen Krankenhäusern. Sie bündelt klinische Entscheidung, Behandlungsplanung und Teamkommunikation. Doch vielerorts gilt sie als ineffizient, unkoordiniert und intransparent. Wie in vielen europäischen Ländern steht auch in Österreich die stationäre Versorgung durch zunehmende Arbeitsverdichtung, Fachkräftemangel und hohe Dokumentationslasten unter Druck. Dabei kann eine gut strukturierte, selbstorganisierte Visite nicht nur Zeit sparen, sondern auch Komplikationsraten senken und das Behandlungsergebnis insgesamt verbessern. Interprofessionelle Zusammenarbeit, standardisierte Abläufe und eine verbindliche Kommunikationskultur sind zentrale Hebel dafür. Der folgende Beitrag beleuchtet den Status quo und zeigt die zentralen Elemente für eine selbstorganisierte Visite.
Inhaltsverzeichnis
Status quo der Visitenpraxis in Österreichs Spitälern
In vielen Spitälern sind Visiten durch traditionell hierarchische Strukturen geprägt. Entscheidungen werden häufig top-down getroffen. Das bedeutet vor allem für die Rolle der Pflege keine gleichwertige Integration. In Österreich rechtliche Grundlagen zur Qualitäts- und Entlassungskoordination, etwa durch den „Qualitätsstandard Aufnahme und Entlassung“ (QS-AUFEM). In der Umsetzung fehlt es jedoch häufig an standardisierten Prozessen.
Die Praxis zeigt, dass Visiten häufig unstrukturiert ablaufen. Informationen sind in Papierakten oder mehreren Systemen verstreut, Besprechungen finden unter Zeitdruck statt und bieten somit erhebliches Potenzial für Missverständnisse oder Informationsverluste. Genau hier setzen moderne Konzepte zur Standardisierung an.
Elemente erfolgreicher, selbstorganisierter Visiten
Das Ziel einer selbstorganisierten Visite ist nicht nur das bloße Abhaken medizinischer Punkte, sondern ein gemeinsames, interdisziplinäres Verständnis der nächsten Behandlungsschritte. Selbstorganisation im Krankenhaus bedeutet nicht bloß, dass Teams ihre Aufgaben eigenständig abarbeiten. Vielmehr beschreibt sie eine Verteilung der Verantwortung auf viele Schultern, weicht starre Hierarchien auf und gestaltet Entscheidungsprozesse kollektiv.
Übertragen auf den Visitenprozess bedeutet Selbstorganisation: Das multiprofessionelle Team, bestehend aus Ärzten, Pflegepersonal und Therapeuten, entscheidet gemeinsam über Abläufe, Zuständigkeiten und Kommunikationsformate. Rollen wie Dokumentation, Gesprächsleitung oder Fallkoordination können auf Basis individueller Kompetenzen und Teamkonsens vergeben werden. Die klassische Aufteilung wird damit ersetzt durch ein Format, das Beteiligung, Klarheit und Zielorientierung fördert.
Allerdings bedarf diese Form der Zusammenarbeit ein hohes Maß an Struktur. Dazu gehören festegelegte Meetingformate, transparente Entscheidungsregeln, kollegiale Rückmeldung aber auch die Bereitschaft eines Jeden, auch tatsächlich Verantwortung zu übernehmen. Selbstorganisation baut auf klare Ausrichtung, verteilte Verantwortung und eine konstruktive Feedback-Kultur.
Wenn Visiten unter diesen Voraussetzungen gestaltet werden, steigt nicht nur die Teamzufriedenheit, sondern auch die Behandlungsqualität. Patienten erleben strukturierte, einfühlsame Gespräche in geschützter Atmosphäre. Gleichzeitig entstehen für alle Berufsgruppen Räume zur Mitgestaltung, Reflexion und Verbesserung.
Tools und Methoden zur Optimierung
Ein zentrales Mittel zu Vereinheitlichung von Prozessen sind Standard Operating Procedures (SOPs). Diese verschriftlichen bewährte Abläufe und entlasten das Team, da nicht bei jedem Patienten neu entschieden werden muss. Sie beantworten zentrale W-Fragen wie: Wer macht was, wann, wie, mit wem – und auf welcher wissenschaftlichen Grundlage? Besonders wirksam sind SOPs dann, wenn sie interprofessionell erstellt, evidenzbasiert formuliert und praxisnah gestaltet sind. Sie sollen keine Lehrbücher ersetzen, sondern klinisches Wissen in konkrete Handlungen überführen.
Zu den häufigen Fehlerquellen im Klinikalltag zählt die unklare oder missverständliche Kommunikation, insbesondere bei der Medikamentenverordnung. Hier haben sich standardisierte Kommunikationsmodelle wie beispielsweise das SBAR-Schema (Situation-Background-Assessment-Recommendation) bewährt. Diese Methoden ermöglichen es, wichtige Informationen auch in stressintensiven Situationen strukturiert und kontrolliert zu übermitteln.
Ergänzend unterstützen digitale Visitenboards und dokumentenlenkende Softwarelösungen die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen. Tools wie strukturierte Übergabemasken, Tageschecklisten und digitale Whiteboards helfen, Abläufe zu bündeln und Zuständigkeiten klar zuzuweisen.
Best-Practice-Beispiele
Auch in Österreich gibt es erste Ansätze, selbstorganisierte Strukturen in der klinischen Versorgung umzusetzen.
Ein innovatives Beispiel liefert die Klinik Hietzing im Wiener Gesundheitsverbund mit dem Projekt „Praktikanten leiten eine Station“. Dabei übernehmen Pflegeschüler im letzten Ausbildungsjahr unter Supervision eigenverantwortlich zentrale Aufgaben wie Dienstplanung, Aufgabenverteilung, Kommunikationskoordination und Prozessgestaltung auf einer realen Station. Im Fokus steht die Stärkung individueller Verantwortung, eine klare Rollenzuteilung im Team und das bewusste Einüben kollektiver Entscheidungsprozesse.
Ein weiteres Beispiel ist das Ordens Klinikum Linz, das die interprofessionelle Visite erprobt. Dabei diskutieren alle involvierten Berufsgruppen vor Beginn der Visite die betreuten Patienten, berichten über Neuerungen und liefern Ideen und Anreize.
Solche Projekte zeigen das Potenzial, das in einer systematisch begleiteten Selbstorganisation steckt: Mehr Beteiligung, größere Verbindlichkeit und eine höhere Identifikation mit den Arbeitsabläufen – bei gleichzeitiger Wahrung der Patientensicherheit.
Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren
Ein Krankenhaus ist ein komplexes System. Damit selbstorganisierte Visiten gelingen, braucht es nicht nur Instrumente, sondern eine Kultur des Mitgestaltens. Führungskräfte müssen Standards einfordern und gleichzeitig Raum für eigenverantwortliches Handeln schaffen. Die Standardisierung darf dabei nicht als Gängelung verstanden werden, sondern als Entlastung für alle. Wenn gute Abläufe verschriftlicht und digital verfügbar sind, entsteht für die Akteure mehr Handlungssicherheit.
Zugleich ist Kommunikation ein zentrales Sicherheitsinstrument. Die Einführung strukturierter Kommunikationsroutinen kann nur dann gelingen, wenn sie geschult, eingeübt und im Alltag aktiv angewendet werden. Wichtig ist: Jedes Teammitglied, egal ob ärztlich, pflegerisch oder therapeutisch, kann dazu beitragen, Kommunikationsfehler zu vermeiden.
Fazit
Die Visite ist der tägliche Prüfstein funktionierender Zusammenarbeit. Wer sie effizient gestalten will, braucht ein interprofessionelles Team, klare Standards und eine verlässliche Kommunikationskultur. Der Weg dorthin führt über einfache, aber wirksame Maßnahmen: standardisierte Abläufe, verbindliche SOPs, strukturierte Sprache und digitale Unterstützung. Gerade in einem hochkomplexen System wie dem Krankenhaus kann Standardisierung helfen, Komplexität zu reduzieren und so die Patientensicherheit erhöhen, Vertrauen schaffen und Zeit für das Wesentliche gewinnen.