
Anders als zum Beispiel Deutschland kennt Österreich bisher keinen Facharzt für Allgemeinmedizin. Man kann “nur” Arzt für Allgemeinmedizin werden. Die Bundesregierung hat im September 2024 die Schaffung einer neuen Facharztausbildung für Allgemein- und Familienmedizin offiziell in Gang gebracht. Erste Ausbildungsplätze könnten dann ab Sommer 2026 angeboten werden. Wir stellen die noch aktuell gültige allgemeinmedizinische Ausbildung vor und gehen perspektivisch kurz auf eine mögliche künftige Facharztausbildung ein.
Inhaltsverzeichnis
Arzt für Allgemeinmedizin – Tätigkeiten und Zuständigkeitsgebiet
Ein Arzt für Allgemeinmedizin übernimmt die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung. Klassischerweise sind Allgemeinmediziner als Hausärzte mit eigener Praxis tätig und dienen als erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen. Ihre Aufgaben umfassen die Untersuchung, Diagnose und Behandlung von Patienten. Zudem koordinieren sie die Zusammenarbeit mit Fachärzten und Kliniken. Ein wichtiger Teil ihres Tätigkeitsbereichs ist die Gesundheitsberatung und -förderung. Oft betreuen Hausärzte ihre Patienten über viele Jahre hinweg, wodurch ein enges Vertrauensverhältnis entsteht.
Eine Hausarzt-Tätigkeit ist für Allgemeinmediziner typisch, aber nicht zwingend. Nur knapp die Hälfte der Allgemeinärzte verfügt über eine eigene Ordination. Viele Allgemeinmediziner arbeiten als Angestellte in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen oder bei anderen Institutionen.
Nicht alle Allgemeinmediziner führen eine eigene Praxis. Etwa die Hälfte arbeitet als Angestellte in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder in anderen Institutionen. Mehr zu den Tätigkeiten hier:
Allgemeinmedizin: Arzt für Allgemeinmedizin (Hausarzt)
Mehr zu Facharztausbildung und Facharztrichtungen:
Arzt für Allgemeinmedizin – Die Ausbildung im Überblick
Rechtsgrundlage der Ausbildung ist die österreichische Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 (ÄAO 2015). Wer selbständig als Allgemeinmediziner tätig werden will, muss grundsätzlich die in der ÄAO 2015 definierte allgemeinmedizinische Ausbildung durchlaufen. Vorbedingung ist die Eignung für eine unselbstständige Tätigkeit als Turnusarzt.
Ziele
Ziel der Weiterbildung ist es, Allgemeinmediziner auf die hausärztliche Tätigkeit vorzubereiten. Sie erlangen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, um Patienten jeder Altersgruppe umfassend zu betreuen. Die Ausbildung umfasst Themen wie Diagnostik, Krankenbehandlung, Koordination von Behandlungen, Vorsorge, Nachsorge und Gesundheitsförderung.
Dauer und Gliederung
Die Ausbildung ist auf insgesamt 42 Monate angelegt. Sie setzt sich zusammen aus:
- 9 Monate Basisausbildung;
- 33 Monate allgemeinärztliche Weiterbildung.
Die Ausbildung findet überwiegend im Krankenhaus im Rahmen der Turnusarzt-Tätigkeit statt. Am Ende der Weiterbildung findet eine neunmonatige Lehrzeit in einer anerkannten Lehrpraxis, in einer Lehrgruppenpraxis oder in einem Lehrambulatorium statt. Den Abschluss bildet die allgemeinärztliche Prüfung.
Bei Einführung der Facharztausbildung 2026 wird sich die Ausbildungsdauer entsprechend den sonstigen Facharztausbildungen in Österreich auf sechs Jahre verlängern (9 Monate Basisausbildung + 63 Monate Fachausbildung).
Schwerpunkte der allgemeinmedizinischen Ausbildungsinhalte
Die allgemeinmedizinische Ausbildung umfasst im Einzelnen folgende Ausbildungsinhalte:
1. Organisation einer allgemeinmedizinischen Praxis
- Organisation der Patientinnen- und Patientenkontakte derart, dass sowohl kurzfristige Kontakte bei unselektierten Problemen als auch geplante Kontakte bei chronischen Erkrankungen möglich sind
- Umgang mit zeitgemäßer, praxisrelevanter Informationstechnologie
- Mitarbeiterorganisation
- praxisorientiertes Qualitätsmanagement und Hygiene
- Dokumentation von Befunden, Befundverfolgung, Recall
- Vorratshaltung von Hilfsmitteln und Medikamenten
- Organisation der medizinischen Betreuung außerhalb der Ordinationszeiten
- Organisation der interdisziplinären/multiprofessionellen Zusammenarbeit
- Organisation von Unterbringung bei Fremd-/Selbstgefährdung
2. Hausarztspezifische Kommunikation
- ärztliches Routinegespräch
- diagnostisches und therapeutisches Gespräch unter Verwendung des biopsychosozialen Modells und Einbeziehung kultureller und existenzieller Aspekte
- Angehörigengespräch
- telefonische Beratung und Anleitung von Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Dritten
- Gesundheitsberatung
- ärztliches Berichtswesen, Atteste und Gutachten
3. Allgemeinmedizinische Diagnostik
- Früherkennung von Gesundheitsstörungen
- Diagnostik bei Akut- und Notfällen
- TIA Insult
- Präoperative Diagnostik
- Mini Mental Status
- Assessment bei chronischen Erkrankungen und in der Geriatrie
- diagnostische Einbeziehung des sozialen Umfeldes
- Erkennung arbeits- und umweltbedingter Faktoren
- Indikationsstellung und Bewertung von Laboruntersuchungen, Methodik und Durchführung des Basislabors
- sachgerechte Probenbehandlung von Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen sowie Einordnung der Befunde in das Krankheitsbild
- Indikationsstellung, Durchführung und Bewertung apparativer Diagnostik in der Allgemeinmedizin
- Vermeidung von Gesundheitsrisiken für Patientinnen und Patienten durch Abwägung von Nutzen und Risiken diagnostischer Maßnahmen
- Ernährungsmedizin
4. Allgemeinmedizinische Therapie
- Erstbehandlung und definitive Therapie
- Erstbehandlung unter besonderer Berücksichtigung abwendbar gefährlicher Verläufe
- Behandlung mehrfacher Beschwerden und Erkrankungen
- Schmerztherapie
- Langzeitbehandlung chronischer Erkrankungen
- Betreuung von Patientinnen/Patienten mit onkologischen Erkrankungen
- Notfallversorgung
- Versorgung Unfallverletzter und Erstversorgung chirurgischer Notfälle einschließlich der Organisation begleitender und weiterführender Maßnahmen
- Beherrschung der chirurgischen Techniken unter Anwendung der Lokal- und peripheren Leitungsanästhesie (z.B. Oberst‘sche Leitungsanästhesie)
- Behandlung mit ruhigstellenden Schienen, mit starren oder funktionellen Verbänden
- Beherrschung der instrumentellen Techniken einschließlich Infiltration, Punktionen, Infusionstechnik, Katheterisierung, Pflege von PEG-Sonden, Trachealkanülen
- Nachsorge nach Wunden
- Unkomplizierter Harnwegsinfekt
- strukturiertes Medikamentenmanagement und ökonomische Verschreibweise
- Umgang mit Arzneimittelmissbrauch und Polypharmazie
- Vermeidung von Gesundheitsrisiken für Patientinnen und Patienten durch Abwägung von Nutzen und Risiken therapeutischer Maßnahmen
- einfache physikalische Therapie einschließlich Gerätekunde
5. Betreuung chronisch kranker und multimorbider Patientinnen und Patienten
- Aufbau und Aufrechterhaltung einer Arzt-Patient-Beziehung
- Organisation integrativer Betreuungsprozesse
- Erstellung individueller Betreuungskonzepte im Hinblick auf Lebensqualität, Patientinnen- und Patientenwunsch und soziale Gegebenheiten
- Beachtung der speziellen Aspekte in der Betreuung multimorbider Patientinnen und Patienten
- Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen
- Betreuung von Menschen mit Langzeitpflege
- Inkontinenz
- Rehabilitationsplanung
6. Koordination und Integration
- Koordination der ärztlichen Behandlungen
- gezielte Überweisung unter Berücksichtigung der regionalen Versorgungsstrukturen und -möglichkeiten
- Einbeziehung weiterer ärztlicher, pflegerischer und sozialer Hilfen in die Behandlung
- Abwägen der medizinischen Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung
- Rehabilitation und Nachsorge
- Zusammenführen, Bewerten und Dokumentation der Befunde
7. Prävention und Gesundheitsförderung
- Untersuchungen in strukturierten Programmen (z.B. Vorsorge und Mutter-Kind-Programme)
- Gesundheitsberatung
- Impfwesen
- Raucherentwöhnungsstrategie
8. Psychosoziale Betreuung
- psychosomatische Medizin
- Krisenintervention
- Beurteilung von Suizidalität
- Grundzüge der Beratung und Führung Abhängiger bzw. Suchtkranker
9. Familienmedizin
- Betreuung mehrerer Generationen
- Besonderheiten ärztlicher Behandlung von Patientinnen und Patienten im häuslichen Milieu
- Hausbesuchstätigkeit
10. Geriatrie
- Diagnostik und Therapie bei geriatrischen Patientinnen und Patienten
- Betreuung in Pflegeeinrichtungen
11. Palliativmedizin
- palliative Maßnahmen, insbesondere Schmerztherapie
- Betreuung im Team
- Betreuung pflegender Angehöriger
12. Erstellung von Zeugnissen, Attesten
13. Einschlägige Rechtsvorschriften für die Ausübung des ärztlichen Berufes insbesondere betreffend das Sozial-, Fürsorge- und Gesundheitswesen, einschließlich entsprechender Institutionenkunde des österreichischen Gesundheitswesens und des Sozialversicherungssystems
14. Gesundheitsökonomische Auswirkungen ärztlichen Handelns
15. Ethik ärztlichen Handelns
16. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutzrecht
Bei der anschließenden Lehrpraxis-Ausbildung stehen Praxisorganisation, allgemeinmedizinische Diagnostik und Therapie, Patientenbetreuung und -kommunikation, rechtliche Aspekte, Zeugnis- und Attest-Erstellung sowie weitere praktische Fragen der allgemeinmedizinischen Fächer auf dem Programm.
Wurden die beiden Fächer “Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde” und “Haut- und Geschlechtskrankheiten” im Spitalturnus nicht gewählt, sind die Grundkenntnisse aus diesen beiden Fachbereichen in der Lehrpraxis zu erwerben.
Inhalte der Ausbildung im Spitalsturnus
Die Weiterbildung setzt sich aus einer Basisausbildung und einer allgemeinmedizinischen Weiterbildung zusammen. Die Basisausbildung ist der erste Teil der ärztlichen Ausbildung und muss von allen angehenden Allgemeinärzten und Fachärzten absolviert werden. Sie dient dem Erwerb von klinischen Basiskompetenzen im chirurgischen und konservativen Behandlungsbereich. Daran schließt sich die allgemeinmedizinische Ausbildung, die sich aus dem Spitalturnus mit einer Dauer von insgesamt 27 Monaten und einer 6-monatigen Lehrpraxis zusammensetzt.
Die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte im Spitalsturnus decken – der Hausarzt-Tätigkeit entsprechend – ein breites Spektrum ab, konkret:
- Innere Medizin (9 Monate)
- Frauenheilkunde und Geburtshilfe (3 Monate)
- Kinder- und Jugendheilkunde (3 Monate)
- Orthopädie und Traumatologie (3 Monate)
- Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin (3 Monate)
- zwei Wahlfächer (je 3 Monate)
Folgende Wahlfächer stehen zur Auswahl:
- Anästhesiologie und Intensivmedizin
- Augenheilkunde und Optometrie
- Chirurgie
- Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
- Haut- und Geschlechtskrankheiten
- Neurologie
- Urologie
Vorgeschriebene Lehrpraxis je nach Wahlpflichtfach
Entscheiden sich die angehenden Allgemeinmediziner nicht für das Wahlpflichtfach "Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde" und "Haut- und Geschlechtskrankheiten", müssen diese Inhalte im Rahmen der Lehrpraxis abgedeckt werden.
Arztprüfung Allgemeinmedizin
Die allgemeinärztliche Prüfung wird dreimal jährlich von den Landesärztekammern durchgeführt. Die schriftliche Prüfung umfasst die Bearbeitung von Fallbeispielen, in denen Anamnese, Diagnose und Therapie behandelt werden. Die Prüfung wird entweder als “bestanden” oder “nicht bestanden” bewertet.
Allgemeinmediziner – Gehalt
Selbständige Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag verdienen laut dem Gesundheitsministerium im Durchschnitt 150.000 Euro jährlich. Dabei sind Praxiskosten und Sozialversicherungsbeiträge bereits abgezogen. Angestellte Allgemeinmediziner verdienen deutlich weniger – das Einstiegsgehalt liegt bei etwa 50.000 Euro brutto pro Jahr. Mehr zum Arzt-Lohn hier:
Jobs als Allgemeinmediziner
In Österreich gibt es zahlreiche Berufsmöglichkeiten für Allgemeinmediziner. Neben der Tätigkeit als niedergelassener Arzt besteht die Möglichkeit, in Krankenhäusern, Reha-Kliniken oder als Betriebsarzt zu arbeiten. Angestellte Tätigkeiten sind auch in Gesundheitsbehörden oder bei niedergelassenen Ärzten möglich.
Laut österreichischer Ärztestatistik gab es Ende 2020 im Land 25.425 Allgemeinmediziner – davon sind 53,5 Prozent Frauen und 46,5 Prozent Männer
- 47 Prozent der Allgemeinärzte sind mit eigener Ordination tätig
- 46 Prozent arbeiten ausschließlich in Anstellungsverhältnissen.
- Knapp 7 Prozent der Allgemeinmediziner sind Wohnsitzärzte
Rund die Hälfte der niedergelassenen Ärzte in Österreich ist älter als 50 Jahre, 30 Prozent sind älter als 60 Jahre. Von daher wird in den nächsten Jahren für viele Arztpraxen eine Nachfolgeregelung anstehen.
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